Beim Überholen von Radfahrern: Autos in Winterbach halten nicht genug Abstand –
12.04.2023 17:54
Nein, meint Theo Wember, bei den meisten Autofahrern sei das sicher keine Bösartigkeit. Die meisten, so sein Eindruck, haben einfach kein Gefühl dafür, wie es ist, mit dem Rad auf einer vielbefahrenen Straße unterwegs zu sein...
Von Reinhold Manz
Veröffentlicht: 12.04.2023 17:54
Nein, meint Theo Wember, bei den meisten Autofahrern sei das sicher keine Bösartigkeit. Die meisten, so sein Eindruck, haben einfach kein Gefühl dafür, wie es ist, mit dem Rad auf einer vielbefahrenen Straße unterwegs zu sein und von Autos mit 20 Zentimeter Abstand zum Außenspiegel überholt zu werden. Mit einem Messgerät hat der Winterbacher jetzt aufgezeichnet und herausgearbeitet, dass viele Autos den Radlern beim Überholen zu nahe kommen. Es stellt sich die Frage: Wie kann man das ändern? Und: Wie kann Winterbach generell fahrradfreundlicher werden?
Diese Fragen sind auch zentraler Gegenstand des Mobilitätskonzepts, das die Gemeinde im Austausch mit den Bürgern und auf Basis von Verkehrserhebungen noch in diesem Jahr erarbeiten will. Es geht dabei natürlich nicht nur um das Rad als Verkehrsmittel. Aber eine zentrale Stoßrichtung soll die Aufgabe sein, eine Änderung des Mobilitätsverhaltens der Winterbacher weg vom Auto dahin zu bewirken, dass sie mehr mit dem Rad und zu Fuß unterwegs sind. Viele gaben in der Haushaltsbefragung zum Mobilitätskonzept an, dass sie sich als Fußgänger und Radfahrer auf den Straßen oft unsicher fühlen. Die Menge des Kfz-Verkehrs ist schon heute ein Problem und wird laut Prognosen für das Mobilitätskonzept durch neue Wohn- und Gewerbegebiete weiter zunehmen, wenn nichts unternommen wird.
Theo Wember will dazu mit seinem Datenerfassungsprojekt etwas beisteuern. Der 67-Jährige legt nach eigenen Angaben mehr als 12.000 Kilometer im Jahr im Sattel zurück. Er bezeichnet sich als „Alltagsradler“, das heißt, er macht alle Wege mit seinem Fahrrad, egal bei welchem Wetter – und zwar mit eigener Muskelkraft, ohne Unterstützung durch einen Elektromotor. Für weitere Strecken nutzt er die Bahn, hat seit vielen Jahren eine Bahncard 100.
1,50 Meter Sicherheitsabstand vorgeschrieben: Realität sieht anders aus
Zur Situation vor Ort meint Theo Wember: „Leider ist eine Verkehrsinfrastruktur für den Radverkehr in Winterbach in Form von Fahrradwegen oder Fahrradstraßen de facto nicht vorhanden.“ Konflikte mit Autofahrern seien so „insbesondere bei Überholvorgängen vorprogrammiert“. Dabei ist inzwischen ein Sicherheitsabstand gesetzlich vorgeschrieben: mindestens 1,50 Meter innerorts, zwei Meter außerorts.
Die Realität sieht völlig anders aus. Das dürfte nicht nur Radfahrern klar sein. Aber Theo Wember hat das nun mit einer Messung auch nachgewiesen. Er hat sich einen Open Bike Sensor (OBS) des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) an seinem Rad installiert. Dieser registriert bei Überholvorgängen die eingehaltenen Seitenabstände. Ergebnis: Innerorts liegt bei den gemessenen 561 Überholvorgängen in Winterbach der Mittelwert bei einem Abstand von 1,51 Metern. In der Hälfte der Fälle werde der gesetzliche Mindestabstand von 1,50 Metern nicht eingehalten, so Wember.
Außerorts sieht es noch schlechter aus: Hier liegt der Mittelwert des eingehaltenen Abstands bei 1,70 Meter. Nur ein Viertel der Überholvorgänge hielten laut Wembers Daten den Mindestabstand von zwei Metern ein. Seine eigene Erfahrung diesbezüglich ist: „Den Engelberg hoch: Das ist lebensgefährlich.“ Auch der Anstieg nach Rohrbronn sei für Radfahrer auf der Straße „kriminell“.
Schulter gebrochen "wegen rücksichtslosem Überholen"
Aber selbst, wenn innerorts nicht ganz so schnell gefahren werde, könne es dort auf dem Rad sehr gefährlich werden. Ihm seien zwei Fälle von Winterbacher Bürgerinnen bekannt, die sich „wegen rücksichtslosem Überholen oder Abbiegen schwer verletzt haben“. Eine ältere Dame sei auf der Remsbrücke mit einem extrem engen Seitenabstand überholt worden, deswegen gestürzt und habe sich die Schulter gebrochen. „Sie war eigentlich eine begeisterte Radfahrerin.“ Jetzt steige sie nicht mehr aufs Rad.
Wenn er selbst eng überholt werde und sich beschwere, höre er immer wieder: „Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, ich habe Sie doch überhaupt nicht berührt.“ So könne nur jemand reden, der selbst nicht im Alltag auf vielbefahrenen Straßen mit dem Rad unterwegs sei. Ein kleiner Wackler des Radfahrers könne da reichen für einen Unfall.
Nur wenn das Sicherheitsgefühl da ist, steigen mehr Leute aufs Rad um
Die meisten Autofahrer, mit denen er ins Gespräch gekommen sei, seien aber durchaus offen für Kritik, so Theo Wembers Erfahrung. „Die machen das nicht aus Bösartigkeit, das ist schlicht mangelndes Wissen.“ Es gehe ihm auch nicht darum, alle Autofahrer in eine Ecke zu stellen und zu beschimpfen. Es gehe ihm darum, Dinge bewusstzumachen, die jemandem nicht auffallen würden, der nur Sonntagsradler sei und sich vor allem auf autofreien Radwegen bewege. „Es geht um das objektive und subjektive Sicherheitsempfinden von Radfahrern“, sagt er. Nur, wenn sie sich sicher fühlen könnten, würden auch mehr Menschen im Alltag aufs Rad umsteigen.
Und ja, der Gegenvorwurf, der von den Autofahrern auch immer komme, stimme natürlich zum Teil, gibt Theo Wember zu: „Es gibt natürlich unter Fahrradfahrern auch Idioten.“ Die Autofahrer müssten sich aber immer klarmachen, dass Radfahrer bei einem Unfall „immer gleich mit ihrer eigenen Gesundheit bezahlen“, während auf der anderen Seite der Autofahrer im sicheren Stahlkäfig sitze, der nur eine Beule oder ein paar Kratzer davontrage.
Was kann man in Winterbach für Radfahrer verbessern?
Die Situation in Winterbach sei nicht generell besser oder schlechter als in den meisten anderen Gemeinden - in Baden-Württemberg, meint Theo Wember. Aber innerhalb Deutschlands stellt er große Unterschiede fest. In Westfalen zum Beispiel: „Da haben Sie selten Landstraßen, an denen kein Fahrradweg ist.“ So gut wie jeder benutze dort das Rad auch im Alltag. Und deswegen seien Autofahrer dann selbst auch vorsichtiger im Umgang mit Radlern.
In Winterbach gibt es viel Nachholbedarf. Kürzlich bei der Infoveranstaltung zum Mobilitätskonzept sagte Bürgermeister Sven Müller. „Wir alle wissen, wie eng die Straßen in Winterbach gebaut sind.“ Wenn man die 1,50 Meter Überholabstand mit Radwegen absichern wolle, dann habe man „in Zukunft sehr viele Einbahnstraßen“.
Theo Wember ist realistisch: „In Winterbach kann man kein durchgängiges Fahrradnetz bauen.“ Aber das ist in seinen Augen auch gar nicht nötig. „Was wir brauchen, sind drei Schneisen vom Süden in den Norden“, meint er. Denn in Ost-West-Richtung habe man in ein paar Jahren den Radschnellweg RS5, der zwischen Fellbach und Schorndorf geplant wird. Die Nord-Süd-Achsen seien kostengünstig herzustellen: eine im Westen, eine im Zentrum, eine im Osten des Ortes. Dort müsse man Fahrradstraßen schaffen, also Straßen, in denen Fahrräder gleichberechtigt mit Autos unterwegs sind. „Es wäre ja nicht verboten, dort mit dem Auto lang zu fahren, man müsste nur akzeptieren, dass man langsam fährt. Dann wäre das vollkommen gut.“
Ortsmitte in Winterbach ist ein Problem
Im Zentrum von Winterbach sei es leider nicht so einfach, sagt Theo Wember. „Das ist das eigentliche Problem, das haben sie vor zehn Jahren versaubeutelt, als sie die Ortsmitte umgestaltet haben.“ Es sei dabei von manchen um jeden Parkplatz gekämpft worden. Aber parallel zur Ortsdurchfahrt gebe es noch die Hauptstraße. Die ließe sich leicht zur verkehrsberuhigten Zone oder Fahrradstraße machen, so sieht es Wember. Man müsse sich nur überlegen, wie man über die Schorndorfer Straße komme, dann könne man an der Bahnlinie entlang bis zur Unterführung unter den Gleisen sicher fahren und käme dann an der Salierhalle raus.