Überholabstand von Autos messen: ADFC Rems-Murr verleiht Sensor an Radfahrer
Radfahrer werden selten korrekt von Autos überholt. Das ist kein Gefühl, sondern eine Erkenntnis. Gewonnen durch Abstandsmessung per Ultraschallsensor.
Radfahrer werden selten korrekt von Autos überholt. Das ist kein Gefühl, sondern eine Erkenntnis. Gewonnen durch Abstandsmessung per Ultraschallsensor. Dieser steckt in einem Kunststoff-Kästchen. Radler können es sich beim ADFC Rems-Murr ausleihen. Schon im vergangenen Sommer ist mit solch einem Kästchen der Winnender Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth geradelt und hat danach Erstaunliches festgestellt.
Versuchsperson OB Holzwarth: Manche halten nur 20 Zentimeter Abstand
Hartmut Holzwarth ist seine ganz normalen Strecken durch Winnenden gefahren, auf Radwegen, die mit Linien von der Autostraße getrennt sind, auf Straßen ohne Radweg. „Ich kenne das, wie man als Autofahrer abwägt: Kann ich noch überholen, reicht der Abstand?“ Innerorts muss man 1,50 Meter zu normalen Radlern einhalten, zu Lastenrädern und Kindern im Sattel zwei Meter, zwei Meter gelten für alle außerorts.
Holzwarth hat als Radler immer den Knopf am Lenker gedrückt, wenn er überholt wurde – damit werden Mauern und andere dem Radler nahe kommende Dinge nicht erfasst. Am Abend las der OB von der Chipkarte die Abstände aus, die die Fahrzeuge zu ihm eingehalten hatten. „Ganz häufig waren es nur 70 bis 90 Zentimeter. Aber sogar bei nur 20 Zentimeter trauen sich Autofahrer noch vorbei.“
Das Projekt soll Daten für Verbesserungen durch Stadt- und Verkehrsplaner liefern
Big Brother am Fahrrad? Keineswegs. Hier wird niemand gefilmt, kein Kennzeichen erfasst. Auch der Radler, der gefahren ist und die Überholmanöver registriert und in die für alle zugängliche Internetkarte einspeist, bleibt anonym. Aber das für jedermann einsehbare wissenschaftliche Projekt soll dazu dienen, Beweise zu sammeln für die Gefahren für Radfahrer. Denn nur sicheres Radfahren ist attraktives Radfahren.
In der Folge sind Gesellschaft und Kommunen aufgefordert, die Unsicherheiten zu beheben. Konkret muss der Autofahrer hinter dem Radler bleiben, wenn er die 1,50 Meter Überholabstand, zum Beispiel wegen parkender Autos links auf der Ringstraße, nicht einhalten kann. Dann hat der Radler sogar eine reelle Chance, den Radstreifen ohne abzusteigen zu verlassen und nach links abzubiegen.
Die Kommune, vertreten durch Stadtverwaltung und Gemeinderat, denkt ihrerseits darüber nach, wie sie den oftmals engen Straßenraum sicher für alle und mit optimaler Ausnutzung aufteilt. Anfang der 2000er etwa probierten viele in temporeduzierten Bereichen das Konzept des geteilten Raums („Shared space“) aus, in dem alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Winnenden wäre mit vielen Tempo-30-Straßen um Stadt- und Schulzentren herum dafür schon recht gut aufgestellt.
ADFC bietet Fahrsicherheitstrainings für Pedelec-Fahrer an
„Momentan stelle ich fest, dass immer mehr Radfahrer auf den Gehweg ausweichen, weil sie sich unsicher fühlen auf der Straße.“ Holzwarth und auch Daniel Baier vom ADFC wissen, dass das auch zu schweren Unfällen führen kann. Zwischen Fußgängern und Radler (Pedelec, E-Bike?), oder auch, wenn der Radler unvermittelt wieder auf die Straße wechselt und in ein Auto prallt. Der ADFC bietet deshalb Fahrsicherheitstrainings für (Neu-)Pedelec-Fahrer an. Daniel Baier weist darauf hin, dass Radeln auf dem Gehweg längst nicht mehr als Kavaliersdelikt gilt: „Die Strafe dafür liegt zwischen 55 und 110 Euro.“
Dank der 3D-Druck-AG hat der ADFC nun einige eigene Sensoren zum Verleihen
Daniel und seine Mutter Helga Baier, die ebenfalls beim ADFC aktiv ist, freuen sich überaus, dass sie nun mit vier, wahrscheinlich bald sechs Leihsensoren zum Sammeln statistisch verlässlicher Daten in allen Städten des Rems-Murr-Kreises und auf Landstraßen wie der alten B 14 zwischen Winnenden und Korb beitragen können: Vier Schüler der 3D-Druck-AG des Georg-Büchner-Gymnasiums haben ihnen die großen und kleinen Bauteile für die Gehäuse in teils stundenlanger Druckarbeit, die oftmals vor Schulstart beginnen musste und erst abends endete, hergestellt. 50 Arbeitsstunden stecken in einer Box. Andreas Schwager vom ADFC dichtet die Kästchen ab und baute Sensoren und GPS im Wert von 80 Euro ein.